Eltern fordern integrierte Strategie für Präsenz- und Distanzunterricht während und nach der Pandemie

Die Situation nach über einem Jahr Pandemie

Wir alle wünschen uns, dass die Pandemie möglichst morgen schon vorbei wäre. Leider ist die Realität eine andere. Auch wenn derzeit die Inzidenzen wieder sinken hat Sachsen bundesweit weiterhin sehr hohe Infektionszahlen; die Inzidenzen unter sächsischen Kindern und Jugendlichen waren die höchsten im Bundesdurchschnitt. Nach vielen Wochen der Versuche, Verhandlungen und Kompromisse mussten vor einigen Wochen aufgrund der hohen Inzidenz in 10 von 13 Landkreisen verantwortlicherweise die Schulen und Kitas schließen. Wir hoffen, dass die Impfmaßnahmen weiter an Schwung und Wirkung gewinnen und uns bald wenigstens ein Stück in eine neue Normalität führen.

Doch das Prinzip Hoffnung trügt. Gerade erst hat die Variante B.1.1.7 gezeigt, dass bisherige Maßnahmen nicht mehr ausreichend sind. Und es sind schon die nächsten Varianten aus Südafrika, Brasilien und Indien auf dem Weg zu uns, welche das Risiko mit sich bringen, Immunität und Impfschutz zu umgehen.
Angesichts eines weltweit weiterhin starken Infektionsgeschehens ist damit zu rechnen, dass es immer wieder neue Mutanten geben wird, die wir jetzt noch nicht kennen. Das Virus findet ständig neue Wege – wir sind damit gezwungen, schneller und cleverer als das Virus zu sein! Erfreulicherweise können Kinder ab 12 Jahren voraussichtlich bald geimpft werden. Jüngere Kinder könnten frühestens ab Herbst 2021 ein Impfangebot erhalten. Doch wir wissen nicht, ob der Impfschutz dann noch ausreichend sein wird. Wir wissen nicht, ob dann sicherer Präsenzunterricht und soziale Kontakte für unsere Kinder möglich sein werden. Die Pandemie wird uns also noch eine Weile begleiten.

Trotz aller bekannte Maßnahmen (AHA-Regeln, Maskenpflicht, Tests, Wechselunterricht etc.) stellt die Tatsache, dass Menschen gemeinsam Zeit in einem geschlossenen Raum verbringen noch immer ein Infektionsrisiko dar. Experten warnen bereits jetzt, dass sich bei steigender Impfrate die Infektionen in die jüngeren Bevölkerungsgruppen verlagern.

Familien, die sich heute und künftig dafür entscheiden, von der Aussetzung der Präsenzpflicht Gebrauch zu machen und deren Kinder zu Hause lernen, tun das nicht nur, um ihre Familien zu schützen. Sie leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Kontaktvermeidung und damit zur Vermeidung weiterer Infektionen. Etliche Familien haben auch keine andere Wahl, solange ungeimpfte Risikokinder und -eltern zum Haushalt zählen. 

Viele Eltern schicken ihre Kinder in Zeiten hoher Inzidenzzahlen mit einem unguten Gefühl in die Schule. Sie wollen ihren Kindern soziale Kontakte und eine gute Schulbildung ermöglichen und nehmen unweigerlich dafür ein Infektionsrisiko für sich und ihre Kinder in Kauf. Mit der Aussetzung der Präsenzpflicht wurde seitens des Kultusministeriums kommuniziert, dass die Betreuung der abgemeldeten Schüler nur untergeordnet erfolgen kann. Durch die alleinige Fokussierung auf den Präsenzunterricht entfällt vielerorts die Unterstützung im Distanzunterricht und werden Schüler:innen und Eltern in die Position von Bittstellern versetzt. Daher nehmen vermutlich viele Familie die Möglichkeit die Präsenzpflicht auszusetzen nicht wahr, obwohl sie es gern würden. 

Wege für die Schule unter Pandemiebedingungen und danach

Langfristig effizient, familien- und kinderfreundlich und auch volkswirtschaftlich am sinnvollsten wäre aus unserer Sicht allein eine Niedriginzidenzstrategie, wie sie z.B. die NoCovid-Initiative vorgelegt hat. Leider findet sich in Sachsen für diese Strategie derzeit noch keine Mehrheit. Wir erkennen aber das Ergebnis des politischen Entscheidungsfindungsprozesses an und wollen als Eltern konstruktiv an der Ausgestaltung der rechtlichen und organisatorischen Lernbedingungen der Schüler:innen der sächsischen Schulen mitwirken. 

  1. Alle sind sich einig, dass der Schulbesuch für Kinder und Jugendliche wichtig und wünschenswert ist.
    Wir fordern, dass bei den Wiedereröffnungen von Schulen im eingeschränkten Regelbetrieb, weitere Beschränkungen in anderen gesellschaftlichen Bereichen aufrechterhalten werden, damit der R-Wert unter 1 bleibt und die Schulen nicht erneut geschlossen werden müssen.
  1. Gerade Kindern und Jugendlichen aus Familien mit kleinen Wohnungen, problematischen Elternhäusern, eventuell gewalttätigen Eltern sollte der Schulbesuch möglichst durchgängig ermöglicht werden.
    Wir fordern mehr Anstrengungen für schulische und sozialpädagogische Unterstützung von Kindern aus sozial und wirtschaftlich benachteiligten Familien, die besonders unter der Pandemie leiden und denjenigen Kindern, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind.
  1. Wir sehen, welchen enormen Anforderungen die Lehrer*innen und anderes pädagogisches und organisatorisches Personal an Schulen durch Wechselunterricht, Beschulung der Kinder zu Hause, Beschulung von Kindern in oder aus der Quarantäne sowie den weiteren Anforderungen von Not- und Hortbetreuung in der Grundschule ausgesetzt sind.
    Wir fordern, dass beschlossene Maßnahmen nicht zu einer dauernden Mehrbelastung von Lehrer*innen führen, sondern dass integrierte Lösungen zum Nebeneinander von Distanz- und Präsenzunterricht gefunden werden.
  1. Wir begrüßen ausdrücklich, dass seit April 2021 in Sachsen die Präsenzpflicht für Kinder aller Schularten ausgesetzt wurde.
    Wir fordern, dass die Präsenzpflicht weiterhin ausgesetzt bleibt, und zwar mindestens so lange, wie keine Impfung für die betreffenden Altersklassen zur Verfügung steht.
  1. Es ist für alle Schüler von Vorteil, wenn die Lerngruppen in den Schulen möglichst klein sind. Je kleiner die Gruppen sind, desto weniger Kontakte gibt es, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Ansteckungen kommt. Lehrer:innen haben in kleinen Lerngruppen die Möglichkeit, verstärkt auf individuelle Defizite der Schüler:innen einzugehen. Es können also alle Schüler:innen davon profitieren, wenn Bedingungen geschaffen werden, in denen ein Teil der Schüler:innen gut zu Hause lernen kann. Der anfängliche Mehraufwand für die Lehrer:innen ist uns bewusst und wir wollen deshalb auch Wege aufzeigen, wie Schüler:innen selbst in die Umsetzung des Distanzlernens involviert werden können.
    Wir fordern vom Kultusministerium sowie dem Landesamt für Schule und Bildung bis hin zu den Schulleitungen, die Lehrer:innen bei der Begleitung des Distanzlernens besser zu unterstützen.
  1. Die eigenverantwortliche und solidarische Entscheidung für die Abmeldung von Kindern vom Präsenzunterricht darf nicht zu gravierenden Nachteilen für Schüler*innen und Eltern führen. Es liegt in der Verantwortung des Kultusministeriums, hier für Unterstützung zu sorgen. Auch nach über einem Jahr Pandemie erreicht die Qualität des Distanzunterrichts eher selten das Niveau des Präsenzunterrichtes. Phasen des Distanzlernens werden als zu überstehende Durststrecken angesehen, nach denen der Unterricht wie gewohnt fortgesetzt werden kann. Insgesamt wird eine kritische Sicht auf den Distanzunterricht aufrechterhalten, obwohl dieser doch so wichtig für die Bekämpfung der Pandemie ist.
    Wir fordern deshalb, dass seitens des Kultusministeriums Vorgaben erfolgen, in welcher Form die Schüler, die zu Hause lernen, durch die Schule im Lernen zu unterstützen sind. 
  1. Kurzfristig, d.h. ohne zusätzlichen Entwicklungs- oder Beschaffungsaufwand, können folgende Vorgaben zur Unterstützung der Schüler:innen im Distanzlernen erfolgen:
  • Es sind Mindeststandards zu definieren, wie die Schule die Distanz-Schüler:innen mit Aufgaben und Unterrichtsinhalten versorgt.
    Geklärt werden muss:
    • über welchen Weg (technische Mittel)
    • in welchem Umfang (Aufgaben und Unterrichtsinhalte, z.B. Fotos von Tafelbildern; Scans/Fotos von Mitschriften, Arbeitsblättern und Buchseiten)
    • Häufigkeit/Frequenz (möglichst täglich)
    • durch wen (z.B. Fach- oder Klassenlehrer:innen und/oder dedizierte Schüler:innen)
  • Ein verbindlicher regelmäßiger Kontakt zu Klassen- und Fachlehrer:innen ist gewährleistet (Video- oder Telefonkonferenz, persönliches Gespräch, mindestens 1x pro Woche).
  • Für Lehrer:innen, Schüler:innen und Eltern ist transparent, wie Feedback erfolgt. 
    • geklärt werden muss ein Mindeststandard (was ist zeitlich und inhaltlich angemessen?)
    • geklärt werden muss der Umgang mit Bewertung/Noten im Distanzlernen 
  • Die Schulen vor Ort erhalten die Flexibilität, um die zeitliche Ressourcen für Lehrer:innen zu schaffen, damit sie den Distanzunterricht vorbereiten und begleiten können.
  • Bei Bedarf werden Schüler:innen im Distanzlernen mit Leihgeräten unterstützt.
  1. Mittel-bis langfristig fordern wir eine Integration des Distanzlernens in den Präsenzunterricht. Eine integrierte Strategie ist nicht nur für die Pandemie von Bedeutung, sondern auch für die Umsetzung eines zeitgemäßen Unterrichts danach. 
  • Die Bereitstellung von Aufgaben in die Lernplattformen ist innerhalb einer Schule standardisiert, so dass die Schüler:innen die Aufgaben und Inhalte auf nachvollziehbare Weise finden und Ergebnisse zurückmelden können.
  • Die Lernplattformen müssen als selbstverständliches Werkzeug zur Unterstützung des Präsenzunterrichts etabliert werden.
  • Der tägliche Unterricht wird auf der Lernplattform zum Nachlesen für alle dokumentiert, auch für kranke und leistungsschwächere Schüler:innen (durch Schüler:innen selbst organisiert unter Anleitung von Lehrkräften, z.B. digitalisierte Tafelbilder). Es existieren Empfehlungen für geeignete Apps/ Programme für diese Dokumentation, … (Scan-Apps usw.)
  • Die Lernplattformen werden auch für Organisatorisches genutzt (Zeitgewinn).
  • Schulen und Lehrer:innen werden fit für den Online-Unterricht gemacht (sowohl methodisch als auch technisch). Auch damit gelingt der Kulturwandel: Schule die Spaß macht.
  • Schulen entscheiden selbständig über Distanzunterricht (so dass nicht Sachsen-weit oder Landkreis-weit entschieden werden muss), sondern auf Schul- , Klassen-ebene entschieden werden kann. Auch auf Infektionsgeschehen z.B. in der Grippesaison und auf schlechte Witterung kann damit reagiert werden.
  • Einzelnen Schülern, die im Distanzunterricht besser zurecht kommen, wird phasenweise Distanzunterricht ermöglicht: weniger Ablenkung durch Lärm, konzentrierte Arbeitssituation, keine Unterbrechung der Arbeit durch Taktung des Stundenplans.
  • Schulen verfügen über ausreichende technische und personelle Voraussetzungen für digitalen Unterricht.
    • technisches Personal für Administration der IT-Technik (genauso selbstverständlich wie Hausmeister)
    • Ausreichende Lizenzierung der Lern- und Videokonferenzplattformen für hohe Zugriffszahlen
    • Breitbandanschluss für gleichzeitiges Video-Streaming aus und in die Mehrzahl von Klassen-/Fachräumen
    • schulweites WLAN
  • Die Schulen beschaffen digitale Lehrbücher zusätzlich zu dem im Unterricht verwendeten Lehrmaterial (PrintPlus-Klassenlizenzen), um auch kurzfristiges Arbeiten zu Hause zu ermöglichen.
  • Phasenweises Distanzlernen wird fester Bestandteil der schulischen Ausbildung zur Erarbeitung von Projekten/Themen. Das Ziel ist dabei, Schüler fit zu machen für die selbstständige Erarbeitung von Inhalten.

Die Verbindung von Distanz- und Präsenzlernen wird das Lernen für Schüler:innen und Lehrer:innen auch nach der Pandemie vielfältiger, spannender, integrativer und flexibler machen. Wir wünschen uns, dass diese Chance genutzt wird, den Unterricht damit auf ein neues Level zu heben. Als Eltern unterstützen wir diesen Prozess sehr gern.

Unterzeichner:innen

Stefanie Biakowski, Mutter von zwei Kindern, begleitet seit über einem Jahr ihr Risikokind im Distanzunterricht, Grundschullehrerin, Erzieherin

Matthias Fraaß, Vater zweier Kinder; Teamleiter in der Software-Entwicklung, dessen Team seit über 1 Jahr vollständig in Distanz arbeitet

Anja Hamann, Mutter zweier Kinder; Mitarbeiterin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden, seit einem Jahr in der Online-Lehre

Thomas Hamann, Vater von zwei Kindern; Software-Architekt, der in einem 10-köpfigen Team seit über einem Jahr in Distanz Software entwickelt

Claudia Hultsch, Mutter von zwei Kindern im Distanzlernen, Förderexpertin im Sächsischen Staatsministerium der Finanzen, arbeitet seit einem Jahr komplett im Homeoffice

Heike Lenk, Mutter einer Grundschülerin, deren ersten Schuljahr fast komplett in Distanz stattfindet, Projektleiterin in der Softwareentwicklung, deren Team seit über einem Jahr komplett in Distanz arbeitet.

Andrea Mühle, Mutter von 2 Kindern, die seit November wieder vollständig zu Hause unterrichtet werden, Sachbearbeiterin Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Homeoffice und Präsenz, berufsbegleitendes Studium nahezu zwei Semester komplett in Distanz, Stadträtin Bündnis 90/Grüne in Dresden

Kontakt

elterninitiative-sachsen@posteo.de 

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